München Maria 2.0 zu Missbrauch in Erzbistum: "Schamlosigkeit"
Kurz vor der Vorstellung eines lange erwarteten Gutachtens zu sexuellem Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising wirft die Reformbewegung Maria 2.0 der Kirchenleitung Scham- und Empathielosigkeit vor. "Ich weiß nicht, was erschreckender ist: Die Empathielosigkeit gegenüber den betroffenen Personen, die hier zutage tritt oder die Schamlosigkeit, mit der immer von neuem verhindert wird, dass Unrecht benannt und so für die Geschädigten endlich so etwas wie Gerechtigkeit hergestellt werden kann", sagte Maria 2.0.-Initiatorin Lisa Kötter den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Ihr sei kein Fall bekannt, bei dem Opfer von Missbrauch in der katholischen Kirche so etwas wie Gerechtigkeit erfahren hätten. Es gebe ein Muster, das alle Aufarbeitungsversuche durchziehe: "Im Dunkeln wurde anders gehandelt als im Hellen."
Das neue Gutachten zu sexuellem Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising soll zwischen dem 17. und 21. Januar in München vorgestellt werden, wie die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) mitgeteilt hat. Die Prüfung der Fälle soll bis in die Kirchenspitze reichen.
Einer der Vorgänger des heutigen Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, war von 1977 bis 1982 Kardinal Joseph Ratzinger, der heute emeritierte Papst Benedikt. Kritiker werfen ihm schon seit geraumer Zeit Fehlverhalten vor - konkret beim Umgang mit dem Priester H. aus Nordrhein-Westfalen. Der Mann soll vielfach Jungen missbraucht haben und wurde zur Amtszeit Ratzingers aus NRW nach Bayern versetzt. Zuletzt hatte "Die Zeit" Anfang dieser Woche über den umstrittenen Fall berichtet, der als symbolisch gilt für vieles, was in der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche falsch gelaufen ist.
Denn der beschuldigte Priester arbeitete nach seiner Versetzung aus NRW weiter als Seelsorger in Grafing bei München - und missbrauchte als Kaplan erneut Kinder. Dafür wurde er vom Amtsgericht Ebersberg zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt. Und selbst danach wurde er erneut in der Seelsorge eingesetzt - dieses Mal in Garching/Alz bei Altötting, wo er - wie man inzwischen weiß - erneut rückfällig geworden sein soll.
Zu dem Fall gibt es ein innerkirchliches Dekret aus dem Jahr 2016. Prälat Lorenz Wolf, Kirchenrichter des Erzbistums München und Freising und Leiter des katholischen Büros in Bayern, verhängte damals unter anderem eine Geldstrafe von drei Monatsgehältern gegen den Mann. Er darf sich außerdem neben der Kürzung der Pension nicht mehr Pfarrer im Ruhestand nennen und keinerlei priesterliche Funktionen ausüben - er bleibt aber Priester.
Nach Informationen der "Zeit" wird auch der heute emeritierte Papst Benedikt XVI. in einem Dekret zu dem Fall ausdrücklich genannt: Obwohl er von der Vorgeschichte des mutmaßlichen Missbrauchspriesters Kenntnis gehabt habe, habe er ihn damals als Erzbischof in seinem Bistum aufgenommen und eingesetzt.
Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein bestritt dies in einer Stellungnahme. "Die Behauptung, er (Benedikt) hätte Kenntnis von der Vorgeschichte zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme des Priesters H. gehabt, ist falsch", teilte Gänswein der "Zeit" mit.
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck äußerte sich selbstkritisch über den Umgang der Kirche mit dem Missbrauchstäter Peter H.: "Rückblickend hätte ich mir ein Verfahren gewünscht, das die Vorgänge und Verbrechen konsequenter aufklärt und vor allem die Betroffenen und Zeugen der Missbrauchstaten anhört und ernst nimmt", sagte der Ruhrbischof der "Rheinischen Post" (Freitag).
Overbeck sagte der Zeitung, er habe nie Gelegenheit gehabt, mit Benedikt über den Fall zu sprechen. Nach seiner Amtseinführung als Bischof von Essen im Jahre 2009 habe er sich über alle damals im Ruhrbistum bekannten Missbrauchsfälle informiert. Zusammen mit dem Münchner Kardinal Reinhard Marx stellte er dann den Antrag, H. aus dem Priesterstand zu entlassen.
Dies wird heute auch als Versuch interpretiert, den Fall aus den Schlagzeilen zu halten und Papst Benedikt vor schlechter Publicity zu bewahren. Overbeck sagte jedoch: "Für mich hatte Vorrang, den Fall eines mehrfach überführten Missbrauchstäters sowie in vielen weiteren Fällen Beschuldigten kirchenrechtlich zügig und vollständig aufzuklären und entsprechende Sanktionen herbeizuführen." Er haben erreichen wollen, dass der Mann aus dem priesterlichen Dienst entlassen wird - "und von ihm keine weiteren Gefahren ausgehen".