Katrin Habenschaden "Das ist die soziale Frage Münchens"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trotz Corona-Krise wächst München ungebremst. Das bringt auch Probleme mit sich. Ein Interview über kaum bezahlbare Mieten, einen enthemmten Wohnungsmarkt und wilde Feierexzesse in der Stadt.
Katrin Habenschaden macht Druck. In München bilden die Grünen die Regierungskoalition mit der SPD. Die CSU, die konservative Partei Bayerns, ist in der Landeshauptstadt nur in der Opposition. Für alle gibt es gewaltige Aufgaben zu lösen – allen voran die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. Habenschaden, die die Zweite Bürgermeisterin nach Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist, sprach mit t-online darüber. Und auch über kaum kontrollierbare Corona-Partys in der Isarmetropole.
t-online: Frau Habenschaden, warum bekommt München die riesigen Corona-Partys junger Menschen auf öffentlichen Plätzen nicht in den Griff?
Katrin Habenschaden: Ich finde, dass wir die Situation in München im Griff haben. Nach weit über einem Jahr der Lockdowns bricht sich ein Freiheitsdrang Bahn, für den ich großes Verständnis habe. In anderen Städten gibt es häufig Auseinandersetzungen zwischen jungen Leuten und der Polizei. Ja, wir hatten in der Türkenstraße Beschwerden von Anwohnerinnen und Anwohnern. Das bezog sich aber auf Lärm und Schmutz, da ging es nicht um Gewalt.
An der Isar kommen teils Tausende Jugendliche zum Feiern zusammen.
Klar: Die Isar ist wahnsinnig attraktiv, um dort eine gute Zeit zu verbringen. Was wir immer probieren, ist, zu entzerren. Wir schaffen andere Angebote, zum Beispiel den "Sommer in der Stadt". Angebote, die möglichst kostenfrei sind, damit sie für viele Jugendliche und junge Erwachsene zugänglich sind.
Die Münchner Polizei sprach dagegen auf Nachfrage von gewaltbereiteren Jugendlichen. Und OB Dieter Reiter (SPD) erklärte t-online: "Der Grundkonflikt wird bleiben, da dürfen wir uns nichts vormachen." Der Ansatz, die Ludwigstraße zur Feiermeile zu machen, ist krachend gescheitert.
Die Idee mit der Ludwigstraße war auf den ersten Blick charmant, sie liegt nahe der Maxvorstadt, wo sich die jungen Leute treffen. Sie ist aber aus rechtlichen Gründen gescheitert, weil die Ludwigstraße eine Straße mit überörtlicher Bedeutung ist, die man ohne Veranstaltung nicht einfach sperren kann. Die Stadt schaut sich Alternativen an, zum Beispiel Basketballanlagen oder Skate-Plätze. Ob man hier nicht Toiletten aufstellt oder eine Beleuchtung sichert. Zudem wird der Maximiliansplatz ab Ende August an vier Wochenenden zum Open-Air-Club.
Ziehen wir einen Vergleich zum österreichischen Wien: Dort kommen junge Menschen mit dem digitalen Impfausweis oder dem Nachweis, dass sie negativ getestet oder genesen sind, überall rein. Clubs und Bars haben bis tief in die Nacht geöffnet.
Wien hat den Vorteil, das sage ich neidisch, dass es gleichzeitig Bundesland ist. Wien kann sich somit seine Infektionsschutzmaßnamenverordnung selbst gestalten. Das können wir in München nicht. Wir sind an die bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gebunden. In dieser ist klar festgelegt, dass die Gastronomie nur bis 1 Uhr nachts öffnen darf. Aber: Beschränkungen müssen zurückgenommen werden, wenn es das Infektionsgeschehen zulässt. Die Sperrstunde macht nur noch bedingt Sinn. Ich sehe nicht, warum das Ansteckungsrisiko um 00.38 Uhr anders sein soll als um 01.15 Uhr. Und dann gehen alle gleichzeitig zur U-Bahn. Das kann nicht Sinn der Sache sein.
Was würde Sinn machen?
Die Kombination, dass die Sperrstunde aufgehoben wird und wir gleichzeitig möglichst viele Feiernde auf freie Flächen bekommen, würde uns in München am meisten helfen. Ich halte auch nichts von immer mehr Alkoholverboten.
Währenddessen wurde in München weiter fleißig gebaut, die Mieten steigen ungebremst. Nochmal zu Wien: Dort liegen die Mieten im Schnitt zwischen 50 und 60 Prozent im Vergleich zu München.
Die Baubranche ist eine Corona-Gewinnerbranche. 2013 hat der Freistaat Bayern mit Markus Söder (CSU-Ministerpräsident, d. Red.) als Finanzminister 9.000 GBW-Wohnungen alleine in München an private Investoren verkauft. Das ist eine komplett andere Vorgehensweise als in Wien. Jeder vierte Wiener wohnt in einem Gemeindebau, rund 220.000 Wohnungen sind in städtischer Hand. In München sind es nur 87.000 Wohnungen. Das Wohnen ist die soziale Frage in unserer Stadt. Ich will nicht, dass München sich London angleicht. Wo nur noch die Reichen in der Stadt wohnen können, und der Rest pendelt eineinhalb Stunden rein und raus.
Welche Lösungen bieten Sie an?
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Und wir haben die sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN) rechtlich neu verankert. Das ist ein starker Hebel. Bei privaten Wohnungsbauprojekten wird künftig mehr bezahlbarer Wohnraum verpflichtend sein. Der Anteil wird von 40 auf 60 Prozent erhöht, mit einer Bindungsfrist von 40 Jahren. Früher wurden Sozialwohnungen zwar auch gebaut, waren aber nach 25 Jahren auf dem freien Markt.
Der Investor war nicht mehr verpflichtet, bezahlbar anzubieten. Und dann leiden Familien mit mehreren Kindern oder Alleinerziehende darunter. Jetzt muss auf Bundesebene ein soziales Bodenrecht angegangen werden. In München sind die Bodenpreise seit 1960 um 39.000 Prozent gestiegen. Mehr als 70 Prozent des Preises neugebauter Wohnungen entfällt auf den Boden.
Warum funktioniert die Mietpreisbremse in München nicht?
Die Mietpreisbremse hat zu viele gesetzliche Schlupflöcher, gilt beim Neubau zum Beispiel gar nicht. Dauerhaft bezahlbare Wohnungen können wir am besten sichern, wenn wir die Wohnungen über unsere städtischen Wohnbaugesellschaften selber bauen. Als die Corona-Krise begann, haben wir als Stadt zum Beispiel für unsere Wohnungen für fünf Jahre die Mietpreiserhöhungen ausgesetzt. Und mit der neuen SoBoN werden wir Einfluss auf private Investoren haben.
Machen Sie sich keine Sorgen um die Identität der Stadt, wenn die Menschen, die München prägen wollen, nicht mehr hier leben können?
Definitiv. Für 2040 werden 1,85 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner prognostiziert, aktuell haben wir knapp 1,6 Millionen. Die Stadt ist sehr, sehr beliebt. München soll die Weltstadt mit Herz für alle bleiben, und nicht nur für jene, die die größten Gehälter haben.
Katrin Habenschaden, Jahrgang 1977, ist in Nürnberg geboren. Mit Anfang Zwanzig kam die Fränkin nach München, wo sie heimisch wurde. 2009 trat Habenschaden den Grünen bei, 2014 wurde sie erstmals in den Stadtrat gewählt. Seit Mai 2018 ist sie Vorsitzende der Stadtratsfraktion, seit Mai 2020 Zweite Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München.
- Gespräch mit Katrin Habenschaden