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München

CSD in München: Queerfeindliche Gewalt nimmt zu – was sich ändern muss


Queerfeindlichkeit vor CSD in München
"Viele Menschen haben Angst, etwas falsch zu machen"


19.06.2025 - 07:00 UhrLesedauer: 4 Min.
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Eine CSD-Parade in Bayern (Archivbild): Auch wenn viele Menschen öffentlich Haltung zeigen, bleibt bei Betroffenen die Angst vor Anfeindungen hoch. (Quelle: IMAGO/Müller-Stauffenberg/imago)
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Beleidigungen, Bedrohungen, Übergriffe: Queerfeindliche Gewalt ist in München auf dem Vormarsch. Beraterin Leonie L. von der Fachstelle "Strong!" erklärt im Interview, warum viele Betroffene nicht zur Polizei gehen – und was sich ändern muss.

München steckt mitten in den Pride Weeks 2025 und bereitet sich schon jetzt auf die große CSD-Parade am 28. Juni vor. Doch die Vorfreude ist getrübt. Denn queerfeindliche Gewalt nimmt in der Stadt zu. Im vergangenen Jahr zählte die Fachstelle "Strong!" 289 gemeldete Vorfälle – 59 mehr als noch 2023. Die Spannbreite reicht von alltäglichen Diskriminierungen bis hin zu schwerer Gewalt. Auch die offiziellen Zahlen der Staatsregierung zeigen: Für 2024 wurden bisher 177 queerfeindliche Straftaten angezeigt.

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Was bedeuten diese Entwicklungen für queere Menschen im Alltag? Und warum wenden sich viele Betroffene nicht an die Behörden? Darüber hat t-online mit Leonie L. gesprochen. Sie ist Beraterin bei "Strong!", einer Anlaufstelle für von queerfeindlicher Gewalt betroffene Personen in Bayern. Aus Sicherheitsgründen tritt sie öffentlich nur mit ihrem Vornamen und abgekürztem Nachnamen auf.

t-online: Frau L., die aktuellen Zahlen zeigen: Queerfeindliche Übergriffe in München nehmen zu. Wie erleben Sie persönlich die Stimmung in der Stadt?

Leonie L.: Ich erlebe München trotz der steigenden Fallzahlen weiterhin als vielfältige und offene Stadt mit vielen Möglichkeiten für LGBTIQ* Personen. Gleichzeitig bemerke ich trotzdem, dass sich viele queere Menschen vermehrt Gedanken um Sicherheit machen und Sorgen über Diskriminierung und Gewalt haben. Diese beiden Aspekte existieren gleichzeitig und zeigen eine Parallele zur gesellschaftlichen Stimmung: Es gibt mehr CSDs als je zuvor und queere Menschen haben in den letzten Jahrzehnten viele Rechte errungen, und dennoch wird der Ton rauer und Diskriminierung wieder präsenter.

Welche Formen von Diskriminierung oder Gewalt begegnen queeren Menschen in München besonders häufig?

Das, was wir am häufigsten berichtet bekommen, sind Belästigungen, darunter fassen wir unter anderem Beleidigungen, Bedrohungen und Einschüchterungen. Aber auch Alltagsdiskriminierungen sowie körperliche und sexuelle Übergriffe nehmen zu: Queerfeindlichkeit gibt es leider überall. Festzuhalten ist aber auch, dass unsere Zahlen nicht repräsentativ sind und insbesondere Alltagsdiskriminierungen häufig nicht wirklich erfasst werden.

Immer wieder zeigen Betroffene Übergriffe nicht an. Warum?

Viele queere Betroffene erstatten keine Anzeige, weil sie den juristischen Aufwand scheuen, kaum Erfolgschancen sehen oder Angst vor Repressalien haben – etwa durch Abhängigkeiten am Arbeitsplatz, im sozialen Umfeld oder im Bereich Wohnen. Zudem fehlt häufig das Vertrauen in die Polizei, vor allem bei mehrfach diskriminierten Menschen. Um Vertrauen aufzubauen, braucht es sensibilisierte Ansprechpersonen bei Polizei und Justiz, niedrigschwellige Unterstützungsangebote sowie öffentlichen Rückhalt für queere Realitäten. Projekte wie "Strong!" bieten dabei anonyme Melde- und Beratungswege an und können Brücken zwischen Betroffenen und Behörden schlagen.

Was ist "Strong!"?

Die Fachstelle "Strong!" ist ein Beratungs- und Meldesystem für von queerfeindlicher Gewalt Betroffene in Bayern. Dabei versteht sie sich als Brücke zwischen Betroffenen, Community und Behörden. Sie bietet anonyme Unterstützung, vermittelt Hilfsangebote und dokumentiert Vorfälle, um gesellschaftliche Entwicklungen sichtbar zu machen. Die Trägerschaft liegt beim Verein "Queer Leben Bayern e. V.", die Arbeit wird vom Bayerischen Sozialministerium gefördert.

Queerfeindlichkeit ist und bleibt ein Problem. Was macht das im Alltag mit den Betroffenen?

Das angespannte gesellschaftliche Klima führt bei queeren Menschen zu wachsender Unsicherheit, Rückzug, Selbstzensur und psychischen Belastungen. Beispielsweise berichten viele queere Personen davon, auf Hin- und Rückwegen von CSDs ihre Regenbogenflaggen zu verstecken oder am Arbeitsplatz Fragen zu ihrem Privatleben auszuweichen. Ratsuchende äußern Angst vor Anfeindungen, analog und online, und fühlen sich oft nicht sicher. Zeitgleich bemerken wir aber auch einen wachsenden Zusammenhalt und Engagement aus der Community gegen Queerfeindlichkeit.

In den USA erleben wir unter Trump erneut eine gezielte Einschränkung queerer Rechte. Gibt es Sorge, dass solche Dynamiken auch nach Europa schwappen könnten?

Ja, diese Sorgen gibt es in der Community definitiv. In Teilen von Europa sehen wir bereits Rückschritte in der Offenheit gegenüber LGBTIQ* Personen und in der rechtlichen Lage. Die zunehmenden Vorfälle in Bayern zeigen, dass Queerfeindlichkeit auch bereits hier angekommen ist. Dennoch sehen wir die Entwicklungen der letzten Jahre, wie die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes, als wichtige und positive Schritte für die Situation queerer Menschen in Deutschland.

Sie begleiten Menschen, die täglich mit Diskriminierung leben. Gibt es eine Geschichte, eine Begegnung, die Sie nicht mehr losgelassen hat?

Aus vertraulichen Beratungen können wir leider keine Informationen teilen. Aber ich möchte klar sagen: Jede Diskriminierung ist schwerwiegend genug und niemand muss diese hinnehmen. Was mich immer wieder bewegt, ist, wenn queere Menschen berichten, dass sich ihr enges Umfeld oder sogar Mitglieder ihrer Familie von ihnen abgewandt haben, nachdem sie sich getraut hatten, diesen von der eigenen queeren Identität zu erzählen. Diese Erfahrungen sind leider immer noch aktuell und gehören nicht der Vergangenheit an.

Was würden Sie Menschen sagen, die sich bisher wenig mit dem Thema LGBTIQ-Feindlichkeit auseinandergesetzt haben – sei es aus Desinteresse, Unsicherheit oder Angst, etwas "falsch" zu machen?

Desinteresse an LGBTIQ*-Feindlichkeit können wir uns als Gesellschaft eigentlich nicht leisten – und ehrlich gesagt auch kaum nachvollziehen. Es geht hier um Grundrechte, um Würde, um gleiche Teilhabe. Gleichzeitig wissen wir: Viele Menschen haben Angst, etwas falsch zu machen – aus Unsicherheit oder mangelnder Erfahrung im Umgang mit queeren Themen. Das ist verständlich. Wir möchten genau diese Menschen ermutigen, sich trotzdem zu öffnen, zuzuhören und Fragen zu stellen. Die größte Gefahr liegt nicht im "falschen Wort", sondern im Verstummen angesichts von Hass und Ausgrenzung.

Der CSD in München steht dieses Jahr unter dem Motto "Liberté, Diversité, Queerité". Was steckt dahinter?

"Liberté, Diversité, Queerité" steht für die Freiheit, offen und ohne Angst zu sein, wer man ist. Für die Vielfalt der queeren Community und dafür, wie wertvoll diese ist. Auch die Sichtbarkeit und die Sicherheit queeren Lebens sollen im Fokus stehen. Denn Queerfeindlichkeit stellt eine Gefahr dar – nicht nur für Betroffene, sondern für die gesamte Gesellschaft. Die Botschaft lautet: Alle Menschen gehören zur Gesellschaft und verdienen Schutz, Anerkennung und gleiche Rechte – überall.

Wird es auf dem diesjährigen CSD ein angepasstes Sicherheitskonzept geben. An wen können sich Besucher vor Ort in einer Notsituation wenden?

Ja, der CSD München hat ein umfangreiches Sicherheitskonzept. Dazu gehört auch, dass sich Besucher*innen am CSD selbst unter der 0160 99802994 an das Team Awareness des CSD wenden können. Für akute Gefahrensituationen sind selbstverständlich Polizei und Sicherheitskräfte vor Ort. Außerdem können Betroffene sich im Nachhinein jederzeit an unsere Beratungsstelle wenden. Hierbei ist es uns wichtig zu betonen: Kein Fall von Diskriminierung oder Gewalt ist zu klein, um sich Unterstützung zu holen! Betroffene müssen mit dem Erlebten nicht allein bleiben.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Leonie L.
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