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München

KZ Dachau 80 Jahre nach Befreiung: "Wer hinfiel, wurde erschossen"


80 Jahre Befreiung des KZ Dachau
"Unser Todesmarsch dauerte neun Tage und Nächte lang"


Aktualisiert am 04.05.2025 - 18:10 UhrLesedauer: 4 Min.
Zwölf Jahre lang wurden im Konzentrationslager Dachau zehntausende Menschen systematisch ermordet. Abba Naor entkam dem Tod und klärt heute über das Erlebte auf.Vergrößern des Bildes
Zwölf Jahre lang wurden im Konzentrationslager Dachau zehntausende Menschen systematisch ermordet. Abba Naor entkam dem Tod und klärt heute über das Erlebte auf. (Quelle: Tobias Hase / Gedenkstätte des KZ Dachau)
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Vor 80 Jahren wurde das Konzentrationslager Dachau befreit. Die wenigen Zeitzeugen, die es noch gibt, kämpfen gegen das Vergessen – und erinnern an Unvorstellbares.

Dunkle, graue Wolken hängen tief über Dachau. Regen trommelt auf das Zeltdach der weißen Traglufthalle auf dem kargen Appellplatz des ehemaligen KZs Dachau. Ein alter Mann bahnt sich mit seinem Gehstock vorsichtig den Weg zum Mikrofon. Er ist 101 Jahre alt. Mit heiserer Stimme spricht er in das Mikrofon vor ihm: "Vor 80 Jahren betrat ich erstmals diesen Ort. Verlassen sollte ich ihn durch den Schlot des Krematoriums. Und doch stehe ich hier vor Ihnen und bin am Leben".

Der Mann ist der Franzose Jean Lafaurie. Er hat das Konzentrationslager Dachau überlebt, in dem 41.500 Menschen den Tod fanden. Nun, beinahe auf den Tag genau 80 Jahre nach der Befreiung durch die US-Truppen am 29. April 1945, steht er wieder hier – an dem Ort, den er die "Hölle" nennt.

Gedenkfeier mit letzten Zeitzeugen

Jean Lafaurie ist nicht der Einzige, der an diesem verregneten Sonntagvormittag in die KZ-Gedenkstätte in Dachau gekommen ist, um dem 80. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge durch die 7. US-Armee beizuwohnen. Unter den 1.700 geladenen Gästen finden sich Politikerinnen wie Julia Klöckner (Präsidentin des Deutschen Bundestages, CDU) und Ilse Aigner (Präsidentin des Bayerischen Landtags, CSU). Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, ist ebenfalls gekommen.

Trotz ihres hohen Alters und Anreisen aus aller Welt sind insgesamt vier Zeitzeugen vor Ort: Jean Lafaurie, Mario Candotto, Abba Naor und Leslie Rosenthal. Sie alle haben Dachau überlebt und sie alle sind gekommen, um an die Gräueltaten zu erinnern, an unbegreifliches Leid und menschliche Abgründe – aber auch um zu mahnen: "So etwas darf nie wieder passieren."

Eine Familie wird in den Tod geschickt

Abba Naor ist im Jahr 1941 13 Jahre alt. Er singt im Chor, liebt das Theater und will, wenn er groß ist, Schauspieler werden. Bis die Nationalsozialisten die jüdische Bevölkerung seiner litauischen Heimatstadt Kaunus zwingen, ins Ghetto zu ziehen. Auch seine Familie muss ihr Zuhause verlassen, seine Träume zerplatzen. Nur kurze Zeit nach ihrer Ankunft wird sein 14-jähriger Bruder erschossen. Er wird wie 25 andere Kinder ermordet, weil er das Ghetto verließ. Das Kind wollte Nahrung beschaffen, weil die Familie Hunger litt.

Im Jahr 1944 werden Abba Noar und sein Vater zunächst ins KZ Stutthof deportiert, seine Mutter und sein kleiner Bruder einige Monate später ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Beide finden dort in den Gaskammern den Tod. Auch Vater und Sohn werden schließlich voneinander getrennt und in verschiedene Außenlager des KZ Dachau gebracht.

"Der Todesmarsch dauerte neun Tage und Nächte"

Abba Noar musste erst in Utting am Ammersee (Kaufering X) und später im Außenlager Kaufering I schwerste Zwangsarbeit leisten. Bis die Häftlinge eines klaren Frühlingsmorgens im April 1945 versammelt werden: "Sie sagten uns, es geht in die Schweiz, wo wir gegen deutsche Kriegsgefangene ausgetauscht werden sollten. Tatsächlich war es ein Todesmarsch, der neun Tage und Nächte dauern sollte", erinnert er sich.

Es habe kein Essen und kein Wasser gegeben, Dorf um Dorf hätten sie durchquert. "Wer hinfiel, wurde erschossen." Nach einer unendlichen Ewigkeit seien sie schließlich in Waakirchen (Oberbayern) angekommen. "Dort lag ein totes Pferd, das weiß ich noch genau. Weil wir so wahnsinnig ausgehungert waren, ließen sich einige neben dem toten Tier nieder und rissen ihm das Fleisch mit den bloßen Händen vom Körper. Sie wurden auf der Stelle von den Wachen erschossen".

Als der Todesmarsch schließlich in der Ortschaft Waakirchen ankam, seien nicht mehr viele Häftlinge übrig gewesen. Die Nacht brach herein: "Von Schnee bedeckt wachte ich am Morgen auf. Nicht viele von uns taten das, so kalt war die Nacht gewesen. Ich sah mich um und stelle fest, dass die Wachen weg waren. Schließlich sahen wir fremde Männer in anderen Uniformen auf uns zukommen. Die Amerikaner! Da wussten wir, es hat ein neues Leben angefangen."

"Was wir in Dachau sahen – darauf konnte uns nichts vorbereiten"

Unter den US-Truppen, die ab dem 29. April 1945 das KZ Dachau, die Außenlager und die Ortschaften befreiten, war auch Lockered "Bud" Gahs. Er gehörte der "Rainbow" Devision an, deren Motto, wie er erzählt, damals lautete: "Never forget (dt.: "Nie vergessen"). "Das finde ich sehr passend, denn: Die Bilder, die ich damals sah, werde ich nie wieder aus dem Kopf bekommen können", erzählt der US-Amerikaner.

"In den Monaten vor der Befreiung haben die US-Truppen viele und harte Kämpfe gegen die deutsche Wehrmacht geführt. Wir waren extrem gut ausgebildete Soldaten, aber das, was wir sahen, als wir die Tore des KZ Dachau öffneten – darauf konnte uns keine Ausbildung vorbereiten. Das hat uns das Herz gebrochen", erinnert er sich zurück. Unzählige tote Körper und lebende Menschen, die doch fast keine Menschen mehr waren.

Trotzdem, sagt der 100-Jährige heute, habe ihm dieser Anblick wieder Sinn im Leben gegeben: "Von diesen Menschen haben wir gelernt, wie wichtig Hoffnung ist. Und dass wir niemals vergessen dürfen, was hier geschehen ist. Und vor allem eines – dass wir niemals wieder diesen Weg einschlagen dürfen." Während der US-Amerikaner spricht, bahnt sich die Sonne für einen kurzen Moment ihren Weg durch den wolkenverhangenen Dachauer Himmel, fast so, als wäre sie bestellt worden, und lässt das Zelt ein klein weniger heller erleuchten.

Dachau als Vorbild für die Schreckenslager

Das Konzentrationslager Dachau war als erstes Konzentrationslager Deutschlands gleichzeitig das einzige, das während der gesamten Machtperiode Hitlers und des Zweiten Weltkrieges in Betrieb war. Es diente als Vorbild für nahezu alle anderen Lager. Die ersten 17 Häftlinge wurden am 22. März 1933 in das ausschließlich für Männer errichtete Lager gebracht.

In der Anfangszeit waren die Lebensbedingungen dort weitaus weniger katastrophal als nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939. In den Kriegsjahren wurden mehr und mehr Menschen in das Lager gebracht. Folter, Menschenversuche und Exekutionen waren bald an der Tagesordnung. Das Konzentrationslager Dachau war für 5.500 Menschen konzipiert – in den Jahren 1944-45 war die Auslastung mit 45.000 Häftlingen fast neunmal so hoch.

Über zwölf Jahre hinweg wurden im KZ Dachau und seinen 169 Außenlagern mehr als 200.000 Menschen inhaftiert – Kommunisten, Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kriegsgefangene. 41.500 Menschen fanden den Tod.

Verwendete Quellen
  • Reporterin vor Ort
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