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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Messerattacke in Murnau Mordprozess: Dann seien die Sicherungen durchgebrannt
![Der Angeklagte verbirgt seinen Kopf hinter einem grünen Schnellhefter – und räumt die Tat ein. Der Angeklagte verbirgt seinen Kopf hinter einem grünen Schnellhefter – und räumt die Tat ein.](https://images.t-online.de/2025/02/Je68QCJhFmOx/0x163:2000x1125/fit-in/1920x0/der-angeklagte-verbirgt-sich-hinter-einem-gruenen-karton-und-raeumt-die-tat-ein.jpg)
Ein Russe und zwei Ukrainer trinken viel Alkohol. Dann eskaliert ein Streit. Zwei Männer sterben.
Während der Oberstaatsanwalt die schreckliche Bluttat detailliert und bis hin zur Anzahl der Messerstiche schildert, sitzt Iouri J. nahezu regungslos auf der Anklagebank im Landgericht München II. Lediglich seine im Sekundentakt blinzelnden Augen und sein rechter Fuß, der im schwarzen Turnschuh auf- und niederwippt, lassen erahnen, was in dem 58-jährigen Russen mit dem grimmigen Gesicht und dem grauen Rauschebart, der ihm bis auf die Brust reicht, vorgeht. Vielleicht ist er nervöser, als er wirklich zeigen möchte.
Die Tat, die dem Mann vorgeworfen wird, hat im vergangenen Frühjahr hohe Wellen geschlagen – nicht nur in Murnau, wo sie geschah, sondern in ganz Deutschland. Ebenso in der Ukraine, wo sich sogar der damalige Außenminister Dmytro Kuleba in die Sache einschaltete. Schließlich schien sich an jenem 27. April der große Angriffskrieg Russlands im Kleinen widerzuspiegeln – im beschaulichen Murnau am Staffelsee, auf einem Sitzrondell nahe einem Einkaufszentrum.
"Übersteigerter russischer Nationalismus"
Denn dort stach der Russe Iouri J. mit einem Messer auf zwei kriegsversehrte ukrainische Soldaten ein, die sich zur Reha in Oberbayern aufhielten. Ein 36-jähriger Familienvater war sofort tot; sein 23-jähriger Kompagnon verstarb wenig später im Krankenhaus. Weil ein politisches Motiv nicht ausgeschlossen werden konnte, übernahm die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus der Generalstaatsanwaltschaft München die Ermittlungen. Diese hätten ergeben, dass der Angeklagte einem "übersteigerten russischen Nationalismus" anhänge, den russischen Angriffskrieg "uneingeschränkt befürwortet" und gegenüber ukrainischen Soldaten eine "übersteigerte Feindseligkeit" hege, sagt der Oberstaatsanwalt im Gerichtssaal.
Demgegenüber lässt der 58-Jährige über seinen Verteidiger erklären: "Ich habe nichts gegen Ukrainer." Die Tat selbst räumt der Angeklagte indes ein. Er habe "den Tod meiner beiden Bekannten verursacht", heißt es in seiner Erklärung. "Jetzt, in nüchternem Zustand, bedauere ich zutiefst, was vorgefallen ist."
Einige Wochen vor der Tat kennengelernt
Laut Anklageschrift lernten sich der 58-Jährige und die zwei Ukrainer einige Wochen vor der Tat kennen. Die beiden Soldaten waren an der örtlichen Unfallklinik operiert worden und lebten nun in einer extra für ukrainische Kriegsopfer geschaffenen Einrichtung in Murnau. Nach Angaben des 58-Jährigen saßen die Männer häufiger an dem Sitzrondell in der Ortsmitte beisammen und tranken meist "viel Alkohol".
Dabei habe man auch über den Krieg in der Ukraine gesprochen und dazu verschiedene Ansichten gehabt: "Sie hatten ihre Meinung, ich hatte meine Meinung zu dem Konflikt." Laut Anklageschrift wurde auch an jenem 27. April über den russischen Angriffskrieg gestritten, wobei alle drei Männer stark betrunken waren. Die zwei Soldaten hatten einen Promillewert von bis zu 3,67 und 2,70, während Blutproben des deutlich älteren Russen zum Tatzeitpunkt auf 2,27 bis 2,66 Promille hinwiesen.
Dann seien ihm die Sicherungen durchgebrannt
Infolge des Streits habe der 58-Jährige aus seiner nahen Wohnung ein Outdoor-Messer geholt, um "damit die beiden Ukrainer, denen er aufgrund ihrer Nationalität jedes Lebensrecht absprach, in einem Überraschungsangriff zu töten", so der Oberstaatsanwalt. Zurück am Sitzrondell habe er zunächst den Familienvater angegriffen und ihm mit dem Messer die Halsschlagader durchtrennt, ehe er anschließend siebenmal auf den 23-Jährigen einstach.
Bei der Attacke zog sich der Angeklagte Schnittverletzungen an der Hand zu; Polizisten folgten später der Blutspur bis zu seiner Wohnung und nahmen ihn dort fest. Nun muss sich der 58-Jährige also wegen zweifachen Mordes aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen verantworten. In seiner Erklärung berichtet er von einem Streit zwischen den Ukrainern und ihm, von Beleidigungen und von einer Flasche Schnaps, die ihm einer der Männer entwendet habe.
Um sie zurückzufordern, habe er das Messer geholt – als Drohkulisse, aber "keinesfalls", um damit jemanden zu verletzen. Doch dann seien bei ihm die Sicherungen durchgebrannt. "Ohne weiter nachzudenken, stach ich mit dem Messer zu."
17 Einträge im Bundeszentralregister
Abgesehen von seiner Erklärung will sich der Angeklagte weder zur Tat noch zu seiner Person äußern. Und so ist es danach am psychiatrischen Gutachter, einen Einblick in den Lebenslauf des 58-Jährigen zu geben. Dieser kam demnach als russischer Soldat in die DDR, ehe er "wegen schlechten Benehmens" aus der Armee entlassen wurde. Seit 1991 lebt der Mann in Bayern, wo er aufgrund verschiedenster Delikte mehrfach inhaftiert wurde.
"Getrunken, geklaut, Gefängnis" – so habe sein Leben ausgesehen. Insgesamt habe er 17 Einträge im Bundeszentralregister; der vorliegende Fall sei nun die 18. Tat. Seit seiner Festnahme im April befindet sich der 58-Jährige in Untersuchungshaft. Bei einer Verurteilung dürfte ihn eine lange Gefängnisstrafe erwarten. Für den Prozess sind sieben Verhandlungstage angesetzt; ein Urteil könnte demnach Ende Februar fallen.
- Reporter vor Ort