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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Bike2MyRoots" Münchner radelt 10.000 Kilometer nach Ghana – das ist sein Grund

Ein Münchner fährt mit dem Rad nach Ghana. Im Interview mit t-online spricht Emmanuel Adjei über seine Mission, seine Kindheit und Bildungsgerechtigkeit.
Emmanuel Adjei hat ein ehrgeiziges Ziel: Mit dem Fahrrad will er von München bis nach Accra in Ghana fahren – rund 10.000 Kilometer durch 15 Länder in nur 100 Tagen. Mit dem Projekt "Bike2MyRoots" sammelt er Spenden für Bildungsinitiativen in Afrika und will auf fehlende Chancengleichheit aufmerksam machen.
Kurz vor dem Start am Samstag haben wir Emmanuel Adjei am neuen Sportcampus der Technischen Universität München im Olympiapark getroffen – dort, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der präventiven Sportmedizin arbeitet, trainiert und seine Reise bis ins Detail vorbereitet hat.
Im Interview spricht der gebürtige Ghanaer über seine Motivation, die größten Herausforderungen – und warum Bildung für ihn der Schlüssel zu echter Chancengleichheit ist.
t-online: Herr Adjei, Sie wollen in rund 100 Tagen etwa 10.000 Kilometer mit dem Fahrrad von München nach Accra fahren. Wie kam es dazu?
Emmanuel Adjei: Die Idee ist über Jahre gewachsen. Ich fahre seit Langem leidenschaftlich gerne Fahrrad, war in Italien, Dänemark, Schweden unterwegs – einfach aus Freude am Bikepacking (Anmerkung der Redaktion: mehrtägige Fahrradtouren mit Gepäck). Auf einer dieser Touren, irgendwo in Dänemark, kam mir plötzlich der Gedanke: Warum nicht in die Heimat fahren? Diese Abenteuerlust hat sich dann mit meinem Wunsch verbunden, etwas für mein Herkunftsland Ghana zu tun. Ich habe selbst erlebt, wie schwierig der Zugang zu Bildung oder auch zu etwas so Grundlegendem wie sauberem Wasser sein kann. Daraus ist das Projekt "Bike2MyRoots" entstanden – eine Reise zu meinen Wurzeln, aber auch als eine Aktion für mehr Bildungsgerechtigkeit.
Was bedeutet diese Rückkehr zu Ihren Wurzeln für Sie?
Sehr viel. Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen – ohne verlässlichen Zugang zu sauberem Wasser, Strom oder Bildung. Schon als Kind musste ich mit meinen Geschwistern kilometerweit laufen, um Wasser zu holen – mit einem Eimer auf dem Kopf, oft fünf bis zehn Kilometer weit, bis wir endlich eine Quelle fanden. Das war unser Alltag. Rückblickend ist es für mich nicht selbstverständlich, dass man in diesem Alter solche Herausforderungen meistern muss, anstatt zur Schule zu gehen.
Heute, mit 38, kehre ich bewusst zurück – auf einem selbstgewählten Weg. Ich bringe nicht nur meine Geschichte mit, sondern auch ein Projekt, das anderen helfen soll. Wenn ich am Ziel ankomme, kann ich die Tränen bestimmt nicht zurückhalten. Es ist eine Reise zu mir selbst, zu meiner Familie, zu meinem verstorbenen Vater, der Lehrer war. Ich verbinde damit sehr viel, auch Hoffnung.

Organisation "EduSpots"
Die NGO schafft in benachteiligten Regionen Bildungsräume. Sie arbeitet eng mit lokalen Gemeinden zusammen, die eigenverantwortlich Lernzentren oder Bibliotheken aufbauen und betreiben. Emmanuel Adjei möchte bei seiner Reise 100.000 Euro Spenden für die Organisation aufbringen.
Sie haben das ehrgeizige Ziel, mit der Aktion mindestens 100.000 Euro Spenden zu sammeln. Was soll damit konkret vor Ort bewirkt werden?
Das Geld soll direkt in den Ausbau von Bildungszentren fließen – sogenannten "Spots", die von der Organisation vor Ort betrieben werden. Aktuell gibt es etwa 50 davon, das Ziel ist eine Verdopplung auf 100. Mit den Geldern werden Lernräume eingerichtet, Materialien angeschafft und lokale Freiwillige geschult. Es geht darum, benachteiligten Gemeinden Zugang zu Bildung zu ermöglichen – besonders auch für Mädchen. Jeder Euro hilft, Bildung nachhaltig in Regionen zu bringen, die bislang kaum Chancen hatten.
Geben Sie uns doch mal einen Einblick: Wie ist die Situation in Ghana aktuell, was Bildung angeht? Was sind die größten Hürden?
Es gibt Fortschritte, aber viele Herausforderungen bleiben. Zwar ist der Besuch der Grundschule inzwischen kostenlos, doch viele Familien können sich das Schulmaterial nicht leisten. In ländlichen Regionen fehlt es an qualifizierten Lehrkräften, manche Kinder sitzen unter Bäumen, weil es keine Schulgebäude gibt.
Vor allem im Norden Ghanas ist der Schulbesuch nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Wer später studieren möchte, muss hohe Gebühren zahlen – etwa 500 Euro pro Semester, was für viele unerschwinglich ist. Bildung ist zwar ein Grundrecht, aber für viele bleibt sie ein unerreichbarer Luxus.
Ein zentrales Ziel Ihrer Reise ist es ja auch, unterwegs mit Lehrkräften und Schulkindern ins Gespräch zu kommen. Was möchten Sie diesen Kindern mitgeben, wenn Sie vor ihnen stehen – nach tausenden Kilometern, mit Ihrer Geschichte im Gepäck?
Ich möchte ihnen zeigen, dass Bildung ein Schlüssel sein kann – selbst wenn die Umstände schwierig sind. Ich erzähle meine Geschichte: Wie ich in Ghana aufgewachsen bin, mit 24 Jahren nach Deutschland kam, dort studiert und heute ein gutes Leben aufgebaut habe. Ich will ihnen Mut machen, an sich zu glauben – auch wenn es manchmal aussichtslos scheint.
Vielleicht kann ich ein Kind inspirieren, weiter zur Schule zu gehen, nicht aufzugeben. Es geht nicht darum, dass alle denselben Weg gehen wie ich. Aber wenn ich einem von hundert Kindern Hoffnung gebe, hat sich die Reise schon gelohnt.
Sie werden auf ihrer Tour 15 Länder durchqueren, über Gebirge fahren und die Westsahara-Wüste durchqueren – das ist eine enorme Herausforderung. Vor welchen Etappen haben Sie besonderen Respekt?
Am meisten Respekt habe ich vor der Wüste – etwa 2.500 Kilometer nur Sand, Hitze und Einsamkeit. Das alleine ist länger als jede meiner bisherigen Touren. Gleichzeitig freue ich mich aber auch darauf: Der Sternenhimmel ohne Lichtverschmutzung, die Ruhe, die Weite – das wird sicher unvergesslich. Natürlich gibt es auch politische Unsicherheiten, etwa in bestimmten Grenzregionen. Ich werde versuchen, Risiken gut abzuschätzen. Es bleibt ein Abenteuer, bei dem ich nicht alles kontrollieren kann – aber genau das macht es auch aus.
Sie haben sich monatelang vorbereitet, trainiert, Strecken geplant und Kontakte geknüpft. Wie sah Ihr körperliches Training für diese 10.000-Kilometer-Tour aus?
Als Sportwissenschaftler habe ich mein Training systematisch aufgebaut. Ich habe mich komplett durchchecken lassen – Herz, Lunge, Leistungsdiagnostik. Alles war unauffällig, das hat mir Sicherheit gegeben. Seit etwa sechs Monaten trainiere ich gezielt vier- bis fünfmal pro Woche, bis zu 500 Kilometer wöchentlich – im Winter auch auf der Rolle zu Hause. Ich fahre oft fünf Stunden am Stück, um meinen Körper an die Belastung zu gewöhnen. Dabei geht es nicht um Tempo, sondern um Ausdauer.
Wie hat Ihre Familie in Ghana reagiert, als Sie ihnen von Ihrem Plan erzählt haben, mit dem Fahrrad nach Accra zu fahren?
Anfangs konnten sie es kaum glauben. Für sie war das eine völlig neue Vorstellung – mit dem Fahrrad quer durch Europa und Afrika? Aber sie kennen mich gut und wussten: Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, ziehe ich es durch. Mit der Zeit haben sie gesehen, wie ernst ich es meine, und inzwischen unterstützen sie mich voll. Natürlich machen sie sich Sorgen – das bleibt nicht aus.
Jetzt sind es nur noch wenige Tage bis zum Start. Wie fühlen Sie sich?
Ich bin definitiv aufgeregt. Natürlich habe ich Respekt vor dem, was vor mir liegt. Aber die Vorfreude überwiegt, und ich fühle mich bereit. Ich habe monatelang trainiert und alles geplant – jetzt will ich einfach losfahren.
Herr Adjei, vielen Dank für das Gespräch und gute Fahrt!
- Interview mit Emmanuel Adjei vom 4. Juni 2025