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München

Alltag mit Down-Syndrom: "Peter zeigt uns, was im Leben wirklich zählt"


Leben mit Down-Syndrom
"Peter zeigt uns jeden Tag, was im Leben wirklich zählt"


Aktualisiert am 16.07.2024Lesedauer: 5 Min.
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Von Geburt an musste Peters Familie um sein Leben bangen. Heute ist der 36-Jährige gesund.Vergrößern des Bildes
Von Geburt an musste Peters Familie um sein Leben bangen. Heute ist der 36-Jährige gesund. (Quelle: Katja Hoechtel)

Peter ist geistig behindert, war lange Zeit schwer krank. Nicht von all seinen Mitmenschen wird der Dachauer akzeptiert. Ein Foto-Projekt holt ihn nun ins Rampenlicht.

Ein Jahr. Ein Jahr beträgt die Lebenserwartung von Peter, als er 1988 zur Welt kommt. Er hat das Downsyndrom, außerdem einen schweren Herzfehler. Die Ärzte wollen den Eltern damals keine Hoffnungen auf eine Zukunft mit ihrem Sohn machen. 36 Jahre später erfreut sich Peter bester Gesundheit – und zeigt, was es bedeutet, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Allen Widrigkeiten zu Trotz.

Denn Peter gilt in der Münchner Gesellschaft nicht als "normal". Wegen seiner Andersartigkeit wird er schräg angeschaut, sogar gemieden, erzählt seine Schwester Martina. "Peter muss im Alltag viele Herausforderungen meistern, die für andere nicht nachvollziehbar sind." Er kann die Uhr nicht lesen, hat Probleme, sich zu orientieren und ist nur eingeschränkt fähig, sich verständlich zu artikulieren. Darf er deshalb nicht dazugehören?

"Doch!", findet die Münchner Fotografin Katja Hoechtl. Deshalb hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen wie Peter aus ihrer vermeintlichen Unsichtbarkeit heraus ins Rampenlicht zu rücken. Extravagante Aufnahmen in High-Fashion-Kleidung und mondäne Posen sollen ausdrücken: "Hier bin ich. Und ich will mich zeigen." t-online stattet Fotografin und Model am Tag des Shootings einen Besuch ab. Es soll eine Begegnung zwischen schwerer Vergangenheit, erfrischender Gegenwart und hoffnungsvoller Zukunft werden.

Peter: Dramatischer Start in ein kurzes Leben?

Als der kleine Peter im Februar 1988 das Licht der Welt erblickt, wissen seine Eltern noch nicht, dass er das Down-Syndrom hat. Bei ersten Untersuchungen stellt sich zusätzlich heraus: Das Baby hat einen schweren Herzfehler. Die Ärzte raten zu einer sofortigen, risikoreichen Operation. Aus Angst, ihr Kind zu verlieren, entscheiden sich die Eltern dagegen. Die Lebenserwartung des Jungen liegt ohne den Eingriff bei sechs bis zwölf Monaten.

Fröhlich spaziert Peter am Tag des Fotoshootings durch den blauen Samt-Vorhang des "25hours Hotel" in München hindurch Richtung Set. Bevor es losgehen kann, muss er noch eingekleidet werden. Unauffällige Alltagsklamotten weichen einem quietschgrünen Sakko, obendrauf ein orangefarbenes Halstuch. Das gefällt Peter nicht so sehr: "Kratzt!", grummelt er. Das Outfit wird noch einmal ausgezogen, dafür setzt er sich rockige Teufelshörner von seiner Lieblingsband AC/DC auf – die hat Peter von zu Hause mitgebracht.

In den Jahren nach der niederschmetternden Diagnose geben Peters Eltern alles, um die begrenzte Zeit für den Jungen und seine beiden Schwestern so schön wie möglich zu machen. Spielenachmittage, Ausflüge, Urlaube. Und trotzdem: Mitleidlos zerschmettert die Erkrankung des Kindes immer wieder die Illusion einer heilen Welt. Mehrfach zwingen Peter schwere Lungenentzündungen in die Klinik – doch der kleine Körper kämpft sich, allen Widrigkeiten zum Trotz, zurück ins Leben.

Vorübergehend ist seine Gesundheit so stabil, dass der Junge die Grundschule in Schönbrunn und später die Friedel-Eder-Schule, ein heilpädagogisches Förderzentrum, besuchen kann. Am 22. Februar 1998 feiert Peter, entgegen allen medizinischen Prognosen, seinen zehnten Geburtstag.

Grell blitzt das Licht der Kamera durch den Raum und erleuchtet Peters ausdrucksstarkes Gesicht. Zunächst etwas steif, versucht er angestrengt, die Anweisungen von Katja Hoechtl zu verfolgen. "Zu heiß!", beschwert er sich nach kurzer Zeit über die sommerlichen Temperaturen in dem abgedunkelten Raum. Als ihm der Kameraassistent mit einem Abblender Luft zufächert, weicht dem kritischen Blick ein strahlendes Grinsen. "So ist schöööön", lacht Peter, und wirft sich hoch motiviert in Pose.

Als er 20 Jahre alt ist, geht es für Peter weg von zu Hause. Vom Elternhaus in Dachau zieht er rund 170 Kilometer weiter, nach Bayerisch Gmain. Dort wird er zehn Jahre in einer Wohngruppe für Behinderte leben. Während es die Eltern schmerzt, ihren Sohn so weit weg zu wissen, erinnert sich Peter heute gerne an "die coole Zeit in den Bergen" zurück.

Der Ortswechsel soll Peters Schicksal für immer verändern. Durch die enge Zusammenarbeit der Einrichtung mit dem Herzklinikum in München wird ein Arzt aus Ungarn auf die Familie aufmerksam. Er will Peter operieren, um dessen Lebenszeit weiter zu verlängern. Die Überlebenschance bei dem komplizierten Eingriff: 50 Prozent. Diesmal entscheiden sich die Eltern für die OP. Und sie glückt.

Am Foto-Set ist Peter inzwischen voll in seinem Element und spaßt mit Kamera und Team. Selbstsicher post er vor der Kamera, streckt die Zunge raus, zeigt seine Muskeln und zieht die wildesten Grimassen. Zwischendurch zuzelt er genüsslich an einer Spezi – seinem Lieblingsgetränk. Auf dem Heimweg im Auto wird er singend zur Musik grooven und die Fußgänger freundlich (aber bestimmt) über die Straße dirigieren. Peter lebt – und wie.

Nicht nur hinter Peter, sondern auch hinter seiner Familie liegt eine harte Vergangenheit. Doch hat es der 36-Jährige geschafft, seine einstige Schicksalsgeschichte in eine Heldenreise umzuwandeln – die Tag für Tag eine neue Seite schreibt. "Heute ist Peter 36 Jahre alt und hat eine Lebenserwartung wie ein normaler Mensch. Seine Organe funktionieren, er ist gesund. Das ist für unsere Familie das schönste Wunder, das wir uns hätten vorstellen können!", sagt Schwester Martina ergriffen.

Die Fröhlichkeit, die Wärme und die Vielfältigkeit von Peter wären für ihren Alltag und den ihrer Familie eine wahre Bereicherung: "Mein Bruder zeigt uns jeden Tag aufs Neue, was im Leben wirklich zählt. Und was es lebenswert macht. Einem behinderten Menschen sind Reichtum und Oberflächlichkeiten egal. Solange er weiß, dass wir gesund und glücklich sind, geht es auch ihm gut. Mehr braucht er nicht", schließt sie.

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Während die 28-Jährige, die ihren Bruder zum Fotoshooting begleitet hat, aus seinem Leben erzählt, krabbelt ihr einjähriger Sohn mit erstaunlichem Tempo über den Boden. Sein Ziel: Peter, der sich gerade ein Päuschen von seiner Model-Performance gönnt. Als der kleine Korbinian seinen Onkel erreicht, brabbelt das Baby los – und auch Peters Antwort ist nicht klar verständlich. Doch das macht beiden nichts aus – sie strahlen sich gegenseitig an.

Projekt mit Herz: "Ich sehe was, was du jetzt auch siehst"

Peter ist einer von drei Menschen, den Fotografin Katja Hoechtl in ihrem Projekt "Ich sehe was, was du jetzt auch siehst", in Szene setzt. Außer Peter werden auch Emma, eine Rollstuhlfahrerin mit Spinaler Muskelatrophie, und Jerina, eine junge Frau mit Alopezie (Haarausfall), im High-Fashion-Stil abgelichtet.

Hoechtl rückt diese einzigartigen Persönlichkeiten ins Licht – damit sie sich in all ihrer Vielfältigkeit zeigen können. Die Arbeit an dem Projekt sei für die junge Frau erfüllend gewesen: "Es war so unglaublich schön zu sehen, was alles in Menschen drinnen steckt, wenn sie sich trauen, sich zu zeigen."

Der 36-jährige Peter mag im Alltag auf Hilfe angewiesen sein – das würde ihn aber nicht hindern, auch anderen etwas mitzugeben: "Wir können so unfassbar viel voneinander lernen", findet sie. Laut Hoechtl könnten Menschen wie Peter uns dabei helfen, die Schönheit der kleinen Dinge im Leben wiederzuentdecken. "Wir haben vorhin herzlichst über die komische Form der Deckenlampe gelacht – ohne Peter wäre mir die überhaupt nicht aufgefallen", erzählt die Fotografin grinsend.

Ihr Projekt soll eine klare Botschaft vermitteln: "Es ist an der Zeit, die Kluft zwischen 'Normalos' und 'Menschen, die anders sind' zu überwinden. Wir müssen endlich lernen, aufeinander zuzugehen. Ohne Berührungsängste, ohne Scheu", erklärt die junge Frau. Denn: "Jeder Mensch sollte gesehen, gehört und geschätzt werden – und zwar genau so, wie er ist."

Peter im Spotlight: Ausstellung eröffnet am 17. Juli

Alle Fotografien des Projekts werden ab dem 17. Juli im Künstlerhaus in der Lithografiewerkstatt in München gezeigt. Die Ausstellung "Metamorphosis" öffnet täglich bis zum 24. Juli um 17 Uhr, der Eintritt ist frei. Die Aufnahmen sollen die Modewelt dabei laut Künstlerin dazu anregen, ihre Grenzen zu überwinden und "eine neue Ära der Authentizität und Akzeptanz" einzuläuten.

Verwendete Quellen
  • Reporterin vor Ort
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