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Jugendtrainer gesteht Missbrauch: Was bedeutet der Deal für seine Strafe?


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Der Deal mit dem Gericht
Trainer gesteht Missbrauch: Welche Strafe droht ihm?

Von Patrik Stäbler

23.01.2024Lesedauer: 4 Min.
imago images 0241755273Vergrößern des Bildes
Das Landgericht I in München. Hier wird der Fall des angeklagten Jugendfußballtrainers verhandelt. (Quelle: IMAGO/Dirk Sattler/imago-images-bilder)

Wegen hundertfachen sexuellen Missbrauchs von Jugendspielern muss sich ein Fußballtrainer vor dem Münchner Landgericht verantworten. Welche Strafe droht ihm nach dem Geständnis?

Da ist zum Beispiel der Fall des damals 14-jährigen Gerrit (Name von der Redaktion geändert). Er spielte Fußball bei einem Verein aus dem Landkreis München und wurde dort vom fest angestellten Trainer und sportlichen Leiter des Klubs betreut – einem heute 47-Jährigen, der zu vielen seiner jungen Kicker engen Kontakt pflegte, auf und neben dem Platz.

An einem Tag im Sommer 2018 bot der Coach Gerrit an, ihn physiotherapeutisch zu behandeln. Doch was dann auf der Liege in der Kabine des Vereinsheims geschah, lässt alle Eltern Fußball spielender Kinder erschaudern. So massierte der Trainer minutenlang den Penis des Buben – angeblich, weil das die Durchblutung der Muskulatur fördere. Insgesamt 50 Mal zwischen 2018 und 2020 bat der 47-Jährige den Teenager in die Kabine, wo er ihn nicht nur sexuell missbrauchte, sondern auch mehrfach vergewaltigte.

Angeklagter räumte die Taten am zweiten Prozesstag ein

So wie Gerrit erging es mindestens 30 Nachwuchsspielern des Vereins im Alter von 14 bis 19 Jahren. Sie wurden von ihrem Trainer, der für sie eine Vertrauensperson war, zwischen 2014 und 2020 teils bis zu 200-mal sexuell missbraucht. Das geht aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I hervor, die den Mann wegen sexuellen Übergriffs, Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen angeklagt hat – in mehr als 900 Fällen. Inzwischen hat der Fußballtrainer ein umfassendes Geständnis abgelegt. An diesem Mittwoch wird weiter verhandelt. Ein Urteil ist indes noch nicht zu erwarten.

Laut einem Sprecher des Landgerichts München I räumte der 47-Jährige am zweiten Prozesstag in einer Erklärung die Taten ein, die ihm die Staatsanwaltschaft zur Last legt. Dies ist die Voraussetzung für einen sogenannten Deal, also eine Verständigung im Strafverfahren. Hierbei legt der Angeklagte ein Geständnis ab, wofür ihm das Gericht im Gegenzug eine Strafe innerhalb eines bestimmten Rahmens zusichert.

Bereits am ersten Prozesstag hatte die Kammer unter Vorsitz von Richter Stephan Kirchinger auf Nachfrage der Verteidigung einen Verständigungsvorschlag unterbreitet. Demnach könnte der Angeklagte bei einem umfassenden Geständnis mit einer Freiheitsstrafe von höchstens sieben bis acht Jahren rechnen, sagte Kirchinger. Zugute käme dem Mann zum einen, dass er nicht vorbestraft sei. Zum anderen, so der Vorsitzende Richter, "könnte durch ein Geständnis den Opfern eine Aussage erspart bleiben".

Ein Deal ist bei Strafprozessen durchaus üblich

Mit einem solchen Deal haben sich dem Gerichtssprecher zufolge nun also Kammer, Staatsanwaltschaft und auch Verteidigung einverstanden erklärt. Dass es bei Strafprozessen zu derlei Verständigungen kommt, ist durchaus üblich. Befürworter einer solchen Vorgehensweise argumentieren, dass auf diesem Wege der Aufwand des Verfahrens verringert und die Justiz entlastet werde.

Zudem könne den Tatopfern oftmals eine Vernehmung vor Gericht erspart werden. Demgegenüber kritisieren Gegner dieser Verfahrensweise die Intransparenz von Deals und warnen vor ungerechten Urteilen. Auch im Netz, wo der Prozess gegen den Fußballtrainer hitzig diskutiert wird, stößt die Verständigung nur auf wenig Verständnis – ebenso wie das anvisierte Urteil. So wird die erwartete Haftstrafe von sieben bis acht Jahren in den Kommentaren unter den Artikeln vielfach als zu milde bewertet.

Verständigung dürfte den Prozess abkürzen

Die nun beschlossene Verständigung dürfte den Prozess jedenfalls abkürzen. So werden die Zeugen – allen voran die 30 minderjährigen Opfer – voraussichtlich abgeladen, teilt der Gerichtssprecher mit. Stattdessen sollen in der Gerichtsverhandlung die Videoaufzeichnungen ihrer Aussagen abgespielt werden, die sie im Zuge der Ermittlungen gemacht haben. Die Prozessbeteiligten und Zuhörenden werden somit jenen schrecklichen Berichten der Jugendlichen lauschen müssen, die von ihrem Trainer belogen, verführt und missbraucht wurden.

So gaukelte der 47-Jährige laut Staatsanwaltschaft den Kindern nicht nur vor, dass er eine physiotherapeutische Ausbildung habe. Sondern er erzählte ihnen auch, dass das Massieren des Penisses und das Einführen eines Fingers in den After normale Behandlungsmethoden zur Muskellockerung und im Profisport üblich seien. Der Fußballtrainer – er ist selbst Vater zweier Kinder – machte im Gericht einen mitgenommenen Eindruck.

So flog der Angeklagte einst auf

Am ersten Prozesstag saß er zitternd auf der Anklagebank, atmete schwer und schloss immer wieder die Augen. Der Staatsanwaltschaft zufolge ging der Mann bei seinen Taten stets nach dem gleichen Muster vor und missbrauchte seine Opfer auf einer Massageliege in der Kabine, im Trainingslager oder bei sich zu Hause. "Die Geschädigten, die im Tatzeitraum sehr jung waren und zudem unerfahren in Bezug auf Sexualität und physiotherapeutische Behandlungsmethoden, glaubten dem Angeklagten", sagte die Staatsanwältin.

Zudem seien die Teenager stolz gewesen, unter dem 47-Jährigen trainieren zu dürfen, "da dieser als fußballerisch hochklassig galt und schon Profis trainiert hatte". Erst nach mehreren Jahren mit Hunderten Missbrauchsfällen flog der Coach schließlich auf, nachdem sich eines der Opfer seinen Eltern anvertraut hatte. Der Trainer wurde daraufhin festgenommen und sitzt nun seit Oktober 2022 in Untersuchungshaft.

Keine Aussage über eine Sicherungsverwahrung

Sollte das Verfahren den im Deal vereinbarten Verlauf nehmen, wird der Mann noch mehrere Jahre im Gefängnis bleiben. Inwiefern er nach seiner Haft wieder auf freien Fuß kommen wird, ist noch offen. "Mit der Verständigung wird keine Aussage zu einer etwaigen Sicherungsverwahrung oder einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus getroffen", betonte der Richter in der Verhandlung.

Eine derartige Absprache dürfe rein rechtlich nicht Teil der Verständigung sein, erläutert der Gerichtssprecher. Vielmehr müsse sich die Kammer ein eigenes Bild von dem Angeklagten machen – nicht zuletzt durch ein psychiatrisches Gutachten, das im Laufe der Verhandlung noch vorgetragen wird. Zunächst aber wird das Gericht die aufgezeichneten Aussagen der Opfer in Augenschein nehmen – unter anderem jene von Gerrit. Der Missbrauch liegt mittlerweile drei Jahre zurück. Doch noch heute, so die Staatsanwaltschaft, leide der Teenager unter Flashbacks und einer sporadisch gestörten Sexualität.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort im Gericht
  • Gespräch mit dem Pressesprecher des Landgerichts München I
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