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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prozess nach Klimablockade Als die Aktivisten verurteilt werden, ruft einer "Schande"
Drei Klimaaktivisten stehen nach ihren Straßenblockaden vor Gericht. Sie kommen frisch aus dem Gefängnis. Der Rechtsstaat hat Probleme, seine Moral zu rechtfertigen.
Mittendrin beginnt Joel Schmitt zu schluchzen. Die Blicke der rund 40 Zuschauer, das Blitzlichtgewitter, die Verlesung der Anklage, all das hatte er einfach hingenommen, vor der Verhandlung hat er sogar ein Lächeln für seine Mitstreiter im Zuschauerbereich übrig. Mental, aber auch argumentativ wirkt Schmitt gefestigt, als er vorträgt, warum er sich Anfang November am Münchner Stachus auf die Straße geklebt hatte. Doch als es um seine kürzlich beendete Zeit im Gefängnis geht, bricht es aus ihm heraus.
Das Urteil in diesem Prozess am Münchner Amtsgericht ist zweitrangig, wenn überhaupt. Schon vor dem Prozess ist klar: Die drei Angeklagten, nur ein Teil von über einem Dutzend Aktivisten, die an den Aktionen beteiligt waren, werden verurteilt werden. Was sie getan haben, ist unstrittig.
Geldstrafe für Klimaaktivisten in München
Ins Gefängnis müssen sie nicht, sie erhalten eine Geldstrafe. 25 Tagessätze zu insgesamt 375, respektive 625 Euro werden es schließlich für die drei. An diesem Mittwoch geht es aber um etwas anderes: Was genau wollen die Aktivisten? Und wie geht ein Richter damit um, sie zu verurteilen – angesichts einer moralisch hoch aufgeladenen Debatte in Deutschland?
Am 3. November haben sich die Aktivisten zweimal am Stachus auf die Straße geklebt. Sie sind jung – Charlotte Schwarzer, 25, Lars Werner, 31 und Schmitt, 23 – sie kommen nicht aus München, sondern Leipzig, Bielefeld und Freiburg, und sie sind nicht allein. Die Angeklagten gehören den Aktivisten der "Letzten Generation" an, viele ihrer Mitstreiter sitzen im Zuschauerraum.
Um die eigentliche Tat geht es in ihren Ausführungen so gut wie gar nicht. Alles, was sie mitteilen wollen, ist, warum sie das getan haben: nämlich den Verkehr blockiert, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Das weiß auch Richter Alexander Fichtl, weshalb er schon gleich zu Beginn eine außergewöhnliche Anmerkung macht.
Klare Worte von "Letzter Generation" vor Gericht in München
Für ihn spiele auch die Motivation der Angeklagten eine Rolle, um eine Abwägung treffen zu können, sagt er. Deshalb werde er die Aktivisten in ihren Ausführungen nicht unterbrechen. Doch er wisse auch, dass jeder von ihnen sicher eine Stunde über Klimaschutz referieren könne und bittet sie deshalb, sich kurzzufassen. Die Angeklagten nicken und halten sich erst mal daran.
Es beginnt Joel Schmitt, der sagt: "Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens und sind dabei, ihn zu verlieren" – ein Zitat von UN-Generalsekretär António Guterres. Doch er liefert auch selbst einige Sätze, die es wert sind, zitiert zu werden. Etwa, dass es ihm beim Klimaschutz nicht um den Planeten gehe, dem sei es ziemlich egal, ob Menschen auf ihm wohnten. Und auch nicht um Tiere. "Für Eisbären würde ich keine Gefängnisstrafe in Kauf nehmen."
Genau so etwas Ähnliches hat er erst kürzlich hinter sich gebracht. Kurz nach der Aktion, für die er am Mittwoch vor Gericht steht, steckte ihn die Polizei mit Erlaubnis eines Amtsrichters ins Gefängnis – ohne Urteil. Präventivhaft nennt sich das, und ist in Bayern aufgrund des hochgradig umstrittenen Polizeiaufgabengesetzes möglich. Mit feuchten Augen erzählt Schmitt davon.
Klimaaktivist erzählt von Haftstrafe in Stadelheim
Wie verzweifelt er zu Beginn gewesen sei. Und privilegiert er sich dann doch gefühlt habe, auch im Gefängnis noch Rechte zu haben, anders als andere Menschen, die in keiner Demokratie leben. Für eben jene Demokratie kämpfe er, denn in der Klimahölle, vor der er warnt, gebe es die nicht mehr. Schmitt vergleicht seinen Aktivismus mit jenem in der Geschichte, der sich für Bürgerrechte und Arbeitsrechte, gegen Rassismus und Menschenrechtsverbrechen einsetzte.
Aber ist das Gewalt, die sie den Menschen antun, die sie blockieren? "Wir tun alles, um Leben zu schützen", sagt Schmitt. "In 30 Jahren wird man nicht verstehen, warum wir angeklagt sind, und nicht die Bundesregierung." Das ist das Hauptargument der Aktivisten, mit dem sie die Blockaden rechtfertigen wollen: Die Bundesregierung hört nicht. Fridays for Future brachte Millionen Menschen auf die Straße, passiert sei nichts. Man müsse mehr tun, damit der Protest nicht mehr ignoriert werden könne.
Er würde sich nicht beteiligen, wenn man bei den Blockaden keine Rettungsgassen bilden würde, um die Sicherheit aller zu gewährleisten, sagt Lars Werner. Er werde angebrüllt, bespuckt bei den Protesten, doch mit seinem Gewissen sei es nicht zu verantworten, weniger zu machen – und ignoriert zu werden. Er will ein 9-Euro-Ticket und Tempolimit, dafür protestiere er. Denn ein schlüssiges Argument dagegen habe er noch nicht gehört.
Was hat Fridays for Future gebracht?
All dem – auch Charlotte Schwarzers Erzählung, die schildert, wie sehr ihr die Zeit in Haft zugesetzt habe, und dass sie ihre Freiheit dennoch gerne für eine Zukunft mit mehr Freiheit opfern wollen – stimmen Richter und Staatsanwalt im Laufe des Verfahrens zu. Gegen die Klimapolitik zu protestieren sei ein berechtigtes Anliegen, die Staatengemeinschaft tue zu wenig.
Auch die These, dass Fridays for Future nichts gebracht habe, bleibt trotz aller berechtigten Zweifel daran unwidersprochen. Und die Frage, was die Aktivisten erreichen wollen, wenn sie sich auf die Straße kleben, bleibt letztlich auch unbeantwortet. Ja, Aufmerksamkeit bekommen sie, radikaler sind sie, ihren Widerspruch artikulieren sie. Aber wer soll wie, wann und warum durch den Protest zum Umdenken gebracht werden? Und sowieso: Ist das alles relevant, um zu bewerten, ob die Blockaden eine Nötigung darstellen?
Der Prozess zieht sich, etwa weil Zeugen und Gericht ausufernd feststellen wollen, ob die Aktivisten eine Rettungsgasse hätten bilden können oder nicht. Die kurze Antwort: Ja, hätten sie, nötig war die aber eh nicht, weil die Autos, die blockiert wurden, eine Rettungsgasse blockiert hätten und die allermeisten Fahrzeuge eh abgeleitet wurden. Und in den Plädoyers versuchen die Verteidigerinnen ausufernd und erfolglos einen Freispruch zu begründen.
Worum geht es den Akteuren der "Letzten Generation"?
Und dann ist da noch der bizarre Auftritt von Charlotte Schwarzer: Die verliest in ihrem Schlusswort zum Prozess ein halbes Dutzend Unterstützerbriefe, die sie im Gefängnis erhalten hat, argumentiert mit viel Pathos, gehobener Stimme und Kunstpausen, brüllt am Ende regelrecht den Richter an. Zum Anliegen der Angeklagten, dem Klimaschutz, bekennt sich jeder im Gerichtssaal. Authentisch können Lars Werner und Joel Schmitt darlegen, dass ihrer Ansicht nach die Blockaden das mildeste nötige Protestmittel sind. Von Schwarzer bleibt der Eindruck hängen: Sie will vor allem auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.
Und zwischen den Seiten, da sind die Fronten verhärtet. Als Richter Fichtl das Urteil spricht, ruft einer der Mitstreiter der Klimaaktivisten von seinem Zuschauerplatz: "Schande!" Und als der Richter die Angeklagten als "unbelehrbar" bezeichnet – immerhin sind sie für gleich zwei Taten angeklagt, die sie innerhalb weniger Stunden begangen hatten – jubelt einer der Zuschauer ironisch.
In so einer Stimmungslage wäre eine überlegte, außenwirksame Urteilsbegründung nötig. Außergewöhnlich hart war es, als die Aktivisten in Präventivhaft mussten, und auch im Gerichtssaal herrschen Hochsicherheitszustände: Wer hinein will, wird doppelt kontrolliert, muss sein Handy abgeben. Aber versöhnliche Worte findet der Richter nicht.
Klimaaktivisten sehen sich ungerecht behandelt in München
Er stellt zum Beispiel während des Prozesses mehrfach infrage, warum die Angeklagten gegen ihre Präventivhaft keine Rechtsmittel eingelegt hatten – obwohl er selbst sagt, dass das mit dem Prozess nichts zu tun habe. In seiner Urteilsbegründung merkt er kritisch an, was eine Sitzblockade "gegen friedliche Autofahrer in der Stadt" mit dem Protest für ein Tempolimit auf der Autobahn zu tun habe. Mit zunehmender Rededauer skandalisiert er die Aktion regelrecht, betont, dass hier "zwei Spuren voll blockiert wurden", so als hätten die Aktivisten wie von Sinnen in der Stadt randaliert – statt nur gesessen.
Seine wichtigsten Worte gehen dabei fast unter. In einer Demokratie sei der Kampf für ein Anliegen nur mit demokratischen Mitteln zu führen. Es gebe mildere Mittel als die Blockaden, damit würden die Aktivisten nun einmal Gewalt anwenden. Und so wundert es nicht, dass die Aktivisten sich nach dem Prozess ihrer Sache gewiss sind. "Wir sind zu Unrecht verurteilt worden", sagt Schwarzer. Und Schmitt findet: "Von Strafen können wir uns nicht stoppen lassen." Geklebt wird also weiter.
- Reporter vor Ort