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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Volksfestkultur ist toxisch" Schwul auf der Wiesn – wie fühlt sich das an?
Müssen sich schwule Pärchen auf der Wiesn vor Übergriffen fürchten? Ein Münchner aus der queeren Community erklärt, warum er sich auf Volksfesten unsicher fühlt.
2019 kam es auf dem Oktoberfest zu einem schwulenfeindlichen Angriff auf zwei junge Männer, die Händchen hielten. Eine Gruppe Feiernder beschimpfte sie und schlug sie zusammen. Das berichtete etwa die "Süddeutsche Zeitung".
Schon zwei Jahre vorher veröffentlichte ein inoffizielles Oktoberfestportal Tipps für schwule und lesbische Paare auf der Wiesn. Zurückhaltung sei geboten, steht da, denn nicht jeder Wiesngänger "könne sich über ein schwules Männerpaar freuen".
"Wie skurril es wäre, solche Verhaltenstipps an heterosexuelle Menschen zu richten, gerade auf der Wiesn", sagt Maxi Pichlmeier. Der 27-jährige Journalist, der seine Beiträge auf TikTok veröffentlicht, ist in Bayern aufgewachsen, hat eine Lederhose im Schrank, ist schwul und Teil der queeren Community.
Schwul auf der Wiesn: "Je mehr Alkohol fließt, desto größer die Unsicherheit"
In der Tat: Wild knutschende Paare oder Fremde findet man auf der Wiesn an jeder Festzeltecke. In etwa so häufig wie Tauben am Karlsplatz Stachus. Sie gehören ins Bild des größten Volksfests der Welt. Warum sollten sich Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zurückhalten?
Den Gedanken hinter dem Post, schwule und lesbische Paare mit den vermeintlich gut gemeinten Tipps schützen zu wollen, verstehe er zwar. Auch er drehe sich immer noch um oder schiele aus den Augenwinkeln, wenn er seinen Freund auf offener Straße küsse. "Und gerade der Volksfest-Kontext steht für mich für Übergriffe", so Pichlmeier. "Und je mehr Alkohol fließt, desto unsicherer fühle ich mich."
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"Bayerische Tradition steht für mich für klassische Rollenbilder. Da ist kein Platz für queere Menschen", sagt Pichlmeier. Er sei mit der Bierzeltkultur aufgewachsen und habe diese schon immer als einschüchternd und beinahe toxisch empfunden. "An einem Biertisch mit wildfremden Leuten würde ich genau abwägen, ob ich meinen Freund küsse oder nicht."
Die Warnung des Oktoberfestportals spreche trotzdem die falschen Leute an, sagt Maxi. "Es ist 2022, da kann es nicht sein, dass queere Menschen sich immer noch anpassen müssen, um der Mehrheitsgesellschaft zu entsprechen."
Betreiber des Oktoberfestportals zeigt sich von Kritik unbeeindruckt
Was Pichlmeier und der queeren Community besonders aufstößt: Das Portal lässt die Tipp seit 2017 unverändert stehen, obwohl sich viele mit Kritik an die Betreiber der Seite gewandt haben. Darunter Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung.
Deswegen hat Pichlmeier den Post in einem Video auf seinem Instagram-Kanal aufgegriffen. Wenn er und sein Freund auf der Wiesn nicht küssen dürften wie jedes andere Paar auch, dann sage er lieber "na servus". Auf die "Rosa Wiesn" auf dem Oktoberfest wolle Pichlmeier dieses Jahr unbedingt gehen. Aber auch in diesem Rahmen, betont er, seien Übergriffe nicht in Ordnung.
- Gespräch mit Maxi Pichlmeier am 18.07.2022
- queer.de: "Erneute Empörung über Wiesn-Portal: 'Gays' sollten sich 'zurückhalten'"
- sueddeutsche.de: "Homophobie auf dem Oktoberfest"