Urteil in München gefällt Nach tödlichem S-Bahn-Unglück: Tränen vor Gericht
Zwei Jahre auf Bewährung: Das Urteil nach dem Zugunglück von Schäftlarn ist am Donnerstag gefällt worden.
Gut zwei Jahre nach einem tödlichen S-Bahn-Unglück im oberbayerischen Schäftlarn hat ein Schöffengericht in München am Donnerstag einen Lokführer zu zwei Jahren Haft auf Bewährung für vier Jahre verurteilt – unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. Der 56-Jährige hatte demnach am 14. Februar 2022 ein rotes Haltsignal und Vorschriften missachtet. Sein Zug war in der Folge mit einer entgegenkommenden S-Bahn kollidiert. Ein junger Mann starb, 51 Menschen wurden teilweise verletzt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Bevor die Staatsanwältin und der Verteidiger am Donnerstagvormittag zu ihren Plädoyers kamen, wollte Richterin Nesrin Reichle wissen, wie es dem Angeklagten aktuell gehe. Der gelernte Dreher erzählte unter Tränen, dass er einmal pro Woche zur Psychotherapie gehe.
Kollision hätte vermieden werden können
Laut des Plädoyers der Staatsanwältin hätte sich der Angeklagte trotz fehlender Erinnerung an die Tat umfassend auf die Verhandlung eingelassen. Für ihn spreche zudem, dass er zur Psychotherapie gehe und dass er gestanden habe, in der Vergangenheit ab und an regelwidrig eine Zwangsbremsung missachtet zu haben.
Jedoch habe er die Strecke sowie die Geschwindigkeitsbegrenzungen gekannt. Er habe sich zum Tatzeitpunkt nach zwei Zwangsbremsungen nicht beim Fahrdienstleiter gemeldet und eine Genehmigung zur Weiterfahrt eingeholt. Die Kollision mit der anderen S-Bahn hätte durch eine Regelbefolgung verhindert werden können. Stattdessen seien ein Mensch getötet und 51 weitere verletzt worden.
Staatsanwaltschaft: Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten
Als die Staatsanwältin den jungen Afghanen erwähnte, der bei der Kollision gestorben ist, wendete der Angeklagte den Blick zum Boden. Auch wenn der Angeklagten in der Vergangenheit noch nicht strafrechtlich auffällig geworden sei und das Geschehen "zutiefst bereue", sei für einen Lokführer das Überfahren eines Haltzeichens "gröbst pflichtwidrig" und der "schwerste Fehler", sagte die Staatsanwältin. Deshalb plädierte sie für eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und neun Monaten.
"Der Angeklagte ist ein Mann, der einen großen Fehler gemacht hat", begann der Verteidiger Stephan Beukelmann sein Plädoyer. Für ihn sei mit dem Unfall sein Kindheitstraum zerplatzt, hieß es weiter. Während sein Verteidiger sprach, schluckte der Angeklagte schwer.
Der Verstoß gegen die Zwangsbremsung sei nicht vorsätzlich gewesen, fuhr der Verteidiger fort. Der Angeklagte sei ein Musterschüler gewesen. In der Vergangenheit sei es durch ihn zu keinen gefährlichen Situationen gekommen. Es sei ein Augenblicksversagen mit gravierenden Auswirkungen auch für den Angeklagten selbst gewesen. "Er ist ein sensibler Mann, der sich seinen Fehler immer noch sehr zu Herzen nimmt." Deshalb sprach sich Beukelmann für eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung aus.
Angeklagter entschuldigt sich unter Tränen
Der Mann hatte sich am Donnerstag in seinem letzten Wort erneut unter Tränen für seine Fehler entschuldigt. Der Lokführer hatte in dem Verfahren angegeben, er könne sich an den Unfall nicht erinnern. Er wisse nicht, warum er sich so verhalten habe. Zugleich nahm er die Schuld auf sich.
Der Lokführer habe grob pflichtwidrig gehandelt, sagte die Richterin des Schöffengerichts, Nesrin Reichle, am Donnerstag in ihrer Urteilsbegründung. Er habe sich zwar nicht an den Unfall erinnern können, sagte die Richterin. Aber: "Er hat eingeräumt, dass es ein fataler Fehler war." Seinen Fehler habe er vollumfänglich anerkannt, sein Geständnis sei glaubhaft gewesen.
Angeklagter hatte erst Prüfung zum Triebfahrzeugführer abgelegt
Den Ermittlungen zufolge hatte der Mann am Unglückstag den Zug mit der Nummer 6785 gefahren und sich zunächst vor dem Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn über eine Zwangsbremsung wegen zu hohen Tempos hinweggesetzt. Nach dem Ein- und Aussteigen der Fahrgäste fuhr er demnach trotz eines roten Haltesignals los – und hebelte die darauffolgende automatische Zwangsbremsung aus. Eine schriftliche Genehmigung des Fahrdienstleiters zur Weiterfahrt nach dieser Bremsung holte er nicht ein.
Zeitgleich kam auf der eingleisigen Strecke die verspätete S-Bahn mit der Zugnummer 6776 aus München entgegen. Deren Lokführer erhielt Rot und leitete eine Schnellbremsung ein. Sein Zug kam nach zusätzlicher Zwangsbremsung zum Stehen. Als der junge Lokführer noch mit dem Fahrdienstleiter telefonierte, um nach den Gründen zu fragen, kam bereits die andere S-Bahn entgegen. Der angeklagte Lokführer leitete noch eine Schnellbremsung ein, doch das reichte nicht mehr. Die Triebfahrzeuge krachten ineinander.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Reporter vor Ort